Studie zur Relevanz des ‚grauen Screenings’ bei der Diagnose von Brustkrebs – Eine schriftliche Befragung von 50-69-jährigen Brustkrebspatientinnen durch das EKN.

Hintergrund

Vor Beginn des organisierten Mammographie-Screening-Programms ließen viele symptomlose Frauen Mammographien zur Krebsfrüherkennung im Rahmen der kurativen Versorgung in ambulanten Praxen durchführen (sogenanntes ‚graues Screening’). Die seinerzeit jährlich durchgeführten 6,2 Millionen Röntgenmammographien gingen dabei mit schätzungsweise 100.000 nicht indizierten Biopsien einher.

Aktuell ist die Zahl der kurativen Mammographien zwar leicht rückgängig, jedoch nicht in dem Maße, wie es nach Beginn des organisierten Mammographie-Screenings zu erwarten gewesen wäre – nach Auskunft des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) vom 1.10.2010 auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90 / Die Grünen werden noch immer vier Millionen kurative Mammographien jährlich im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abgerechnet. Es gibt bisher keine Angaben darüber, wie häufig es sich dabei um graues Screening handelt. Das graue Screening steht der Röntgenverordnung entgegen, da jede Mammographie mit einer Strahlenexposition einhergeht und sie deshalb nur mit medizinischer Indikation durchgeführt werden soll. Das BMG bezeichnet das graue Screening als ein rechtlich unzulässiges Vorgehen, weil in diesen Fällen keine medizinische Indikation vorliegt.

Das EKN ist in einer Studie der Frage nachgegangen, welche Relevanz das graue Screening als Diagnoseanlass von Brustkrebs aktuell hat. Außerdem wurde überprüft, ob sich Frauen, die am organisierten Screening teilnehmen, von Frauen, für die ein graues Screening angenommen werden kann, unterscheiden.

Material und Methoden

Im Oktober 2010 fand eine Patientinnenbefragung für alle 50-69-jährigen Brustkrebspatientinnen des Diagnosejahres 2008 statt, für die im EKN eine klinische Einwilligungsmeldung vorlag (n = 3.313 Frauen). Die Frauen wurden schriftlich befragt, u.a. zu den Merkmalen Diagnoseanlass, aktuelle und frühere Screeningteilnahme, frühere Mammographien, familiäres Brustkrebsrisiko und Versichertenstatus. Zusätzlich standen Krebsregisterdaten zur Verfügung, u. a. zum Alter, Diagnosezeitpunkt, medizinische Tumorangaben und zum Wohnort. Für eine Teilpopulation von 10% standen zum Auswertungszeitpunkt (März 2012) zusätzliche Angaben zum Screening zur Verfügung (Screening-Datum, Screeningbefund). 1.914 Frauen haben den Fragebogen ausgefüllt zurückgeschickt (57,8%).

Ergebnisse

Bei 55,9% (1.070 von 1.914 Frauen) war der Brustkrebs im organisierten Mammographie-Screening entdeckt worden. 34,4% der Frauen (n=659) gaben eine Diagnose außerhalb des Screenings an, davon 610 durch Mammographie in ambulanter Praxis. Für 9,7% der Frauen (n=185) war der Diagnoseanlass zum Auswertungszeitpunkt nicht eindeutig zuzuordnen.

Die Gruppe der 610 Nicht-Screeningfälle, deren Brustkrebs in einer ambulanten Praxis durch Mammographie entdeckt wurde, wurde zum Anlass dieser Mammographie befragt. 19,4% (371 von 1.914 Frauen) beschrieben eine vorhandene klinische Symptomatik, 7,6% (146 Frauen) waren symptomlos und 4,9% (93 Frauen) machten keine spezifische Angabe hierzu (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Diagnoseanlass von Brustkrebs bei 1.914 niedersächsischen 50-69-jährigen Frauen des Diagnosejahres 2008 (braun = Indikation für 610 Nicht-Screeningfälle, die durch Mammographie in ambulanter Praxis entdeckt wurden)
Abbildung 1: Diagnoseanlass von Brustkrebs bei 1.914 niedersächsischen 50-69-jährigen Frauen des Diagnosejahres 2008 (braun = Indikation für 610 Nicht-Screeningfälle, die durch Mammographie in ambulanter Praxis entdeckt wurden)

Es stellte sich die Frage, ob alle 146 Frauen, bei denen die Mammographie ohne Symptome in einer ambulanten Praxis durchgeführt wurden, dem grauen Screening zuzuordnen sind. Um Aussagen dazu machen zu können, wurde diese Gruppe mit der Gruppe der Frauen verglichen, deren Brustkrebs im organisierten Screening entdeckt wurde (n = 1070).

Bezüglich Alter und T-Stadienverteilung treten keine Unterschiede auf zwischen den 146 symptomlosen Frauen, deren Brustkrebs ambulant entdeckt wurde und den Frauen, deren Brustkrebs im organisierten Screening entdeckt wurde. Allerdings beschrieben 85,6% der 146 Frauen, dass sie schon früher mehrmals eine Mammographie haben durchführen lassen. Bei den Frauen mit organisiertem Screening lag der Anteil mit 50,7% deutlich darunter. Auch lag bei den symptomlosen Frauen mit ambulant entdecktem Brustkrebs der Anteil von privat Versicherten mit 19,9% höher im Vergleich zu den Frauen mit organisiertem Screening (7,9%).

Eine Auswertung zum Brustkrebsrisiko der Frauen zeigte, dass die beiden Gruppen sich hierin ebenfalls deutlich unterscheiden. 56 der 146 symptomlosen Frauen mit ambulant befundetem Brustkrebs (38,4%) gaben an, dass eine Verwandte ersten Grades (Mutter, Schwester, Tochter) oder sie selbst früher an Brustkrebs erkrankt war. Im organisierten Screening liegt der Anteil von Frauen mit erhöhtem Brustkrebsrisiko dagegen nur bei 13,8%. Für diese 56 Frauen kann somit eine medizinische Indikation für die kurative Mammographie vorgelegen haben. Somit kann anhand der Fragebogenangaben nur für 90 der 146 symptomlosen Frauen (4,7% von 1.914 Frauen insgesamt) sicher auf ein ‚graues Screening’ als Diagnoseanlass geschlossen werden.

Diskussion

Der Anteil des grauen Screenings als Diagnoseanlass von Brustkrebs ist geringer als erwartet (ca. 4,7 bis 7,6%). Der Anteil kann sich noch etwas erhöhen, falls zu der Gruppe der Frauen mit unspezifischen Angaben weitere Informationen im Krebsregister eingehen. Symptomlose Frauen, deren Brustkrebs in einer ambulanten Praxis entdeckt wurde, weisen häufiger ein erhöhtes Brustkrebsrisiko, frühere mehrmalige Mammographien und einen Privatversichertenstatus auf als Frauen im organisierten Screening. Eventuell könnte sich hierin eine engere Arztbindung dieser Frauen widerspiegeln. Es ist außerdem möglich, dass Frauen zusätzlich zum grauen Screening auch am organisierten Screening teilnehmen.

Eine Nutzen-Schaden-Evaluation ist für das graue Screening nicht möglich. Die Aufklärung der Frauen über die Vorteile der Evaluation des nach EU-Leitlinien qualitätsgesicherten Mammographie-Screenings sollte daher intensiviert werden. Das Recht auf eine informierte Entscheidung für oder gegen die Teilnahme am organisierten Screening muss jedoch für alle Frauen erhalten bleiben.

Die Ergebnisse wurden in einem Vortrag auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi) im September 2012 in Regensburg vorgestellt.

Skip to content